standardobjektiv 

 Das Normalobjektiv 

 Das unterschätzte Objektiv in der Fotografie
 
Ein Plädoyer für ein verkanntes Genie

Das Standardobjektiv scheint als Festbrennweite inzwischen weniger beliebt denn je. Denn normal wird oft mit langweilig gleichgesetzt. Dieses Vorurteil in der Fotografie soll hier ausgeräumt werden. Wer einmal die wahren Vorzüge des fotografischen Leckerbissens kennengelernt hat, wird sie nicht mehr missen wollen.



Inhalt

Übersicht:

1.  Wie alles begann
2. Was heisst hier eigentlich Normal?
  Die Theorien
  Meine Theorie
  Fazit
3.  Was ist so toll am Normalen?
Der Inhalt
Die Technik
4.  Der Ausrüstungswahn
5. Gute Fotos mit 50 mm
  Die beiden Konkurrenten 35 mm und 85 mm
  Der Kompromiss, der keiner ist
  Anmerkungen


 1. Wie alles begann

Einst und jetzt

Es gab einmal eine Zeit, da wurde eine Spiegelreflexkamera selbstverständlich mit einem Objektiv der sogenannten Normalbrennweite verkauft. Dies war gleichzeitig die Basisausrüstung des Fotografen. Später kaufte man sich vielleicht noch ein Weitwinkel oder ein Teleobjektiv hinzu. Sehr oft blieb es bei vielen Fotografen aber bei dem besagten 50 mm. Bereits in den 80er Jahren änderte sich dies. Es folgte der Trend zum Zoomobjektiv. Die Fotos wurden trotzdem nicht besser.

 

 2. Was heisst hier eigentlich Normal?

Normal?

Bei einer Kleinbildkamera mit dem Filmformat 24 x 36 mm entspricht das Normalobjektiv nicht ganz einer Brennweite von 50 mm. Oft wird gesagt, der Name «Normalobjektiv» hat seinen Ursprung aus der Tatsache, dass das Objektiv die Welt normal, also unverfälscht sehe. Das 50 mm entspreche am ehesten dem natürlichen Augeneindruck beim Sehen.

 

 Die Theorien

Fremdes

Viele Theorien wurden dafür und dagegen aufgestellt warum dass Normalobjektiv normal sei. Zum Beispiel wurde gesagt, dass der Mensch mehr im Breitbildformat schauen würde. Demnach komme das Panoramaformat dem normalen Sehen am nächsten. Dann wurde gesagt, der Mensch schaue eher punktuell in die Gegend, nehme das Umfeld nicht mit der gleichen Schärfe und Aufmerksamkeit auf. Ganz ähnlich wie der Blick durch eine gläserne Röhre. Daher entspräche ein leichtes Teleobjektiv dem menschlichen Sehen. Das wären dann 70 - 90 mm Brennweite im Kleinbildbereich. Auch gibt es die Ansicht, dass eher ein gemäßigtes Weitwinkelobjektiv – wie das 35 mm – dem menschlichen Sehen am ehesten gleichkommt. Die Techniker sagen, die Diagonale durch das Kleinbildformat beträgt 43,2 mm und komme daher den 50 mm sehr nahe. Der sich ergebende Bildwinkel von 46 Grad erzeuge den natürlichen Bildeindruck.
 

 Meine Theorie

Eigenes

Ich denke, dass 50 mm wurde deshalb als Normal bezeichnet, weil es von den Konstrukteuren am leichtesten zu verwirklichen war. Die Linsenberechnungen waren bekannt und man konnte mit der Normalbrennweite ein relativ kompaktes Objektiv bauen, welches verhältnismäßig lichtstark war und eine gute Abbildungsqualität hatte. Zuerst war also das Objektiv, dann erst wurde es Normal genannt.
 

 Fazit

Ehrlichkeit

Welcher Theorie man auch immer folgen mag, eines kann man sicher sagen: das 50 mm ist ein ehrliches Objektiv. Es drückt der Wirklichkeit nicht seinen eigenen Stempel auf, sondern zeigt die Welt ohne technische Überhöhung. Genau das ist seine Stärke. Dazu mehr im Folgenden.
 

 3. Was ist so toll am Normalen?

 Der Inhalt

Wirklichkeit

Kommen wir zum Punkt: Was ist das Besondere daran, normal zu sein? Das 50 mm ist immer dann unschlagbar, wenn das Bild Inhalte bringt. Wenn es also etwas zu sagen hat. Die Konzentration geht auf das Bild, auf den Inhalt, nicht auf den Effekt. Das ist Fotografie pur, eine Rückbesinnung auf das, was die Fotografie am Besten kann: eine mehr oder weniger subjektiv geprägte und dennoch naturgetreue Abbildung der Wirklichkeit. Der subjektive Faktor entsteht beim Normalobjektiv durch den Fotografen, er ist das bestimmende Moment bei der Wiedergabe - die Technik hält sich zurück. Dies ist vielleicht auch eine Erklärung dafür, warum manche Fotografen von diesem Objektiv enttäuscht sind. Es ist nicht ganz leicht, mit einem Standardobjektiv ein gutes Foto zu machen. Plakative, aber leider oft oberflächliche Effekte fehlen hier.

Viele Fotografen versuchen, einem oft fotografierten oder langweiligem Motiv dadurch etwas abzugewinnen, indem sie eine ungewöhnliche Aufnahmetechnik verwenden. Vor einigen Jahrzehnten waren das die Teleobjektive, wogegen in neuerer Zeit der Trend zum Weitwinkelobjektiv geht. Wie auch immer - dieser Weg führt oft nur zu Effekten, an welchen sich das Publikum schnell sattsieht. Nicht umsonst kann man in fast jedem Fotobuch zu Fisheye und Superweitwinkelobjektiven lesen, dass man diese nicht zu oft einsetzen sollte, da sich der Effekt rasch abnutzt. Effekte machen aber keine guten Fotos aus. Im Gegenteil, sie sind oft nur eine vorübergehende Modeerscheinung. Fotos, die einem im Gedächtnis bleiben, sind meist ganz ohne Effekte, dafür haben sie Inhalt.
 

 Die Technik

Leistung

Auch die Technik kann sich bei den Standardbrennweiten sehen lassen. Nirgendwo sonst bekommt man so viel Leistung für so wenig Geld. Die Objektive sind alle verhältnismäßig lichtstark (meist zwischen Blende 1.4 - 2.8) und haben bis auf wenige Ausnahmen sehr hohe Abbildungsqualitäten. Gerade im Kleinbildbereich gibt es an Bildqualität nichts zu verschenken, da das Aufnahmeformat mit 24 x 36 mm - wie der Name schon sagt - recht klein ist. Die hohe Lichtstärke ist ein Geschenk, dass man nutzen sollte. Möglich sind dadurch stimmungsvolle Aufnahmen bei wenig Licht und ohne Blitz. Oft sind diese Aufnahmen auch aus der Hand möglich, so dass man die Vorteile der Kleinbildfotografie voll ausnutzen kann: spontanes, schnelles Fotografieren.

Vergessen wird oft, wie sehr die Blende ein Gestaltungsmittel ist. Viele Besitzer eines Zoomobjektivs, welche die Brennweite von 50 mm beinhalten, werden den Kauf der Festbrennweite nicht für nötig erachten. Häufig haben sie zum Fotografieren aber nur Blendenöffnungen von ca. 3,5-5.6 zur Verfügung. Dies engt den Fotografen doppelt ein: einerseits kann er bei wenig Licht nicht mehr ohne Stativ oder höherempfindlichen Film auskommen, anderseits kann er die gestalterischen Möglichkeiten der großen Blendenöffnung und der damit verbundenen geringen Schärfeebene nicht nutzen. Ein Zoom kann daher eine Standard-Festbrennweite nie ersetzen.

Schließlich kommt hinzu, dass die Standardobjektive (als Festbrennweiten) meist die preiswertesten im Objektivprogramm der Hersteller sind. Man kann also eine Menge Geld sparen, das am Besten in Filme umgesetzt wird.
 

 4. Der Ausrüstungswahn

Verlockungen

Der engagierte Fotograf wird sicher nicht den zahlreichen Verlockungen der angebotenen Objektive entgehen können. Dies ist auch gut so. Liegt doch einer der großen Vorteile der Systemkamera darin, dass sie ausbaufähig ist. Dennoch muss davor gewarnt werden: eine breite Objektivpalette schützt nicht vor mangelnder Kreativität. Diese Erkenntnis kann recht teuer werden. Dabei ist es völlig egal, ob die Brennweiten durch Festbrennweiten oder durch Zooms abgedeckt werden. Die Tatsache, dass man Kreativität nicht kaufen kann, ist nicht neu, doch gerade in der technischen Ausprägung der Fotografie gut getarnt.
 

 5. Gute Fotos mit 50 mm

 Die beiden Konkurrenten 35 mm und 85 mm

Konkurrenten oder Nachbarn

Das 50 mm hat zwei natürliche Feinde: das leichte Weitwinkel und das leichte Teleobjektiv, entsprechend 35 mm und ca. 85 mm bei Kleinbild. Das leichte Weitwinkel hat den Nachteil, bereits deutlich mehr zu zeigen, als das Normalobjektiv. Es besteht die Gefahr, das Bild mit Details zu überladen. Es ist dann viel zu sehen, aber nichts richtig. Das Foto wird geschwätzig, holt zu weit aus, kommt nicht auf den Punkt. Die Folge ist: es entsteht kein wirklich großartiges Bild. Viele kompakte Sucherkameras mit einer festen Brennweite sind mit einem 35 mm ausgestattet. Selten sieht man, dass mit diesen Kameras gute Fotos gemacht werden. Der Vergleich ist natürlich etwas ungerecht, da sich diese Kameras des Massenmarktes oft in der Hand von Fotografen wiederfinden, die gar keinen Anspruch an ihre Bilder haben. Selbstverständlich kann man auch mit 35 mm gute Fotos machen, aber das ist hier nicht das Thema.

Der zweite Feind: Das leichte Tele, bzw. Fernobjektiv engt den Ausschnitt gegenüber dem Standardobjektiv merklich ein. Hierdurch wird eine gewisse Konzentration auf das Motiv erreicht. Dieser für gute Fotos oft förderliche Umstand kann aber leicht kippen, wenn Bilder entstehen, die einen Suchen-und-Finden Effekt haben. Damit meine ich fast abstrakte Kompostionen alltäglicher Gegenstände, bei denen der Betrachter erst nach 5 Sekunden entdeckt, um was es sich bei dem Bild handelt. Nach diesen 5 Sekunden hat der Aha-Effekt eingesetzt und das Bild ist ausgereizt.
 

 Der Kompromiss, der keiner ist

Wofür das Alles?

Portrait mit NormalobjektivDas 50 mm kann alles, wenn der Fotograf es will. Es kann Bilder erzeugen, die aussehen, als wären sie mit einem leichten Weitwinkel gemacht. Durch geschickte Einbeziehung des Vordergrundes und starkes Abblenden, kann man so bei Bedarf ein 35 mm simulieren. Genauso können Fotos gelingen, welche die Handschrift eines leichten Teleobjektivs vermuten lassen. Hierbei verwendet man vorzugsweise offene Blenden, damit der Hintergrund in Unschärfe getaucht wird und somit das Hauptobjekt scharf hervortritt.

Auch für Portraits ist das Objektiv geeignet. Es ist aber nicht die klassische Portraitbrennweite 85 mm. Um Verzerrungen zu vermeiden, sollten daher Bilder auf denen formatfüllend der Kopf zu sehen sein soll, mit dem leichten Tele gemacht werden. Bei Portraits befähigt das Normalobjektiv zu Fotos, welche noch ein wenig Umfeld um die Person lassen und damit mehr Stimmung erzeugen können. Das Auge kann dabei wandern, auf dem Bild ist im Gegensatz zu vielen Telefotos welche den Ausschnitt einengen, etwas zu sehen, was dem Betrachter Raum für Interpretationen läßt. Mit dem Standardobjektiv ist man als Fotograf noch am Geschehen beteiligt. Es sind keine Bilder aus der Entfernung, auf denen die Personen «abgeschossen» werden. Ich denke, dies merkt man guten Fotos mit der Normalbrennweite auch an.

Wenn ich nur ein Objektiv zum Fotografieren mitnehmen könnte, für welche Brennweite sollten ich mich entscheiden? Die Anwort kann nur lauten: das Normalobjektiv.

Weniger ist mehr: fotografieren mit 50 mm, probieren Sie es aus. Let's go back to the roots.
 

 Anmerkungen

Zahlen und Nachwort

Selbstportrait des AutorsIn meinem Text beziehe ich mich hauptsächlich auf das Kleinbildformat. Sinngemäß passen die Aussagen zum Standardobjektiv selbstverständlich auch auf die normalen Brennweiten der größeren Formate. Die Angabe Normalobjektiv = 50 mm gilt nur für das Kleinbildformat, also dem Filmformat 24 x 36 mm. Das Mittel- oder Großformat hat jeweils seine eigenen «normalen» Brennweiten. Diese sind unterschiedlich, da es nicht nur ein großes Format gibt. Sie sind jedenfalls immer größer als 50 mm. Das 50 mm wäre dort schon ein mehr oder weniger starkes Weitwinkelobjektiv.

Hier sehen Sie ein Selbstportrait des Autors, selbstverständlich mit einem Normalobjektiv fotografiert. Oder vielleicht doch nicht?


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